Agile oder und Lean #2

Im ersten Beitrag dieser Reihe hab ich versucht die Wurzeln und den Quellcode von Lean Management zu erläutern. Heute gehts weiter mit der Frage „Was ist Agilität?“

Auch hier gibt es schon sehr viele falsche Ausprägungen, viel „Schass & Topfn“ (Quatsch & Humbug für die dt. KollegInnen 😘).


Google spuckt zu Agilität das hier aus:

„Agilität bezieht sich auf die Fähigkeit eines Systems, einer Organisation oder eines Individuums, flexibel, anpassungsfähig und schnell auf Veränderungen zu reagieren.“

Ich gebe Google hier recht, mir gefällt dieser Satz.

Ich bin frech und leite mal folgendes daraus ab: Dort wo sich nichts ändert & man nicht schnell auf Veränderung reagieren muss, dort braucht man sie mal nicht unbedingt.


Ok und wo kann man sie brauchen?

Agilität ist in einem Umfeld mit hoher Unsicherheit notwendig, es muss schnell gehen um überleben zu können bzw. erfolgreich zu sein. Ihr wisst schon, VUCA und BANI. Und wir kriegen es ja alle mit, die Welt dreht sich gefühlt immer schneller und schneller.


Woher kommt Agiltität?

Hier muss ich ein wenig ausholen. Die westliche Welt hat sich mit den Projektmanagementmethoden, die in einem berechenbaren Umfeld sehr hilfreich sind, in einer VUCA Welt immer mehr in die Sackgasse gefahren. Unsicherheit kann man nicht mit noch detaillierter Planen, Roadmaps, Terminieren von Subsubtasks, viel Druck und häufigem reporten bekämpfen. (Ich weiß, viele glauben das immer noch 🤣)

Es dauert zu lange, bis die „Befehlskette“ durchlaufen ist und die allwissende Führungskraft entscheidet. Zudem ist die Information auch über einige Ebenen hinweg verfälscht worden. Bis dann der Plan geändert ist, haben sich die Dinge wieder verändert. Man ist zu langsam. Das sollte mal jedem einleuchten.

Viele glauben dann leider, dass sie das mit einer noch smarteren Software hinbekommen. Ein bisserl Trello hier, MS Teams da und man ist agil. Ein paar Berater und viele Tausend Euro später, haben die es dann aber auch gemerkt. Wir sind nicht agil, sondern schreiben Dinge reduntant in verschiedene Systeme, haben x Medienbrüche mehr, die Leute sind sauer … und man ist noch langsamer als vorher.

Warum erklär ich das hier eigentlich 🤔? Mein Bild sagt eh schon alles 😉

Das haben die „Gründerväter“ sehr früh gecheckt und 2001 das Agile Manifest geschrieben.

Hier ist der Agile Quellcode.

  • Hast du gewusst, dass es Scrum schon viel länger, uns zwar seit 1993 gibt? Tja, und der schlaue Bursch Jeff Sutherland hat sich da von den auch sehr schlauen Japanern Hirotaka Takeuchi and Ikujiro Nonaka (ja, wieder die Japaner) nennen wir es, „inspirieren“ lassen.

Im agilen Manifest steht jetzt nichts von Kickertischen, 30h Wochen, Kuscheln, „Wir haben uns alle Lieb“-Meetings und diesen Dingen, die man heute komischerweise reindichtet, wenn man keine Ahnung davon hat.

Hier stehen 4 Dinge, die sehr wichtig sind, um in einem VUCA / BANI Umfeld erfolgreich zu sein.

  • Individuen und Interaktionen ist wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
  • Funktionierende Software ist bzw. Produkte sind wichtiger als umfassende Dokumentation
  • Zusammenarbeit mit dem Kunden ist wichtiger als Vertragsverhandlung
  • Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans

Es geht nicht darum, Menschen glücklich zu machen. Es geht darum, erfolgreich zu sein.


Und was steht über allem?

  • “Lass das Produkt (den Kunden) nicht warten! Mach den Kunden glücklich!” (Stimmt, den Satz kennst du schon aus meinem Lean Beitrag.)

Startups machen das automatisch. Warum?

  • Weil wenn sie keine Kunden glücklich machen & keine Knete überbleibt, dann wars das… ☠️☠️☠️
  • Und weil sie können 🤩!

Wie mein ich das jetzt?

Sie haben keinen Rucksack mit vielen Regeln, Standards & Vorschriften. In Startups finden sich Leute zusammen, die einen eisernen Willen haben, die alles tun damit ihr Startup-Baby erfolgreich wird.

Viele Unternehmen wollen Agilität / Scrum usw. einführen weil es vogue ist- Und dann blendet man aus, das man einen Rucksack voller Standards, Vorschriften, Regeln hat und ganz „andere“ Menschen hat.

Will man Agil sein, braucht es aber ein ganz anderes System. Es braucht eine andere Rollen- und Aufgabenverteilung, andere Spielregeln und ein anders miteinander Arbeiten.

Auch hier sagt mein „Büderl“ wieder alles, find ich 🥳!

Die klassische Führungskraft, die alles wissen muss und entscheidet, ist in so einem System Geschichte.

  • Hier kommen die Sprints, Dailys, Weeklys, Kanban, Reviews, Retros, OKRs, Scrum, Purpose und das ganze Zeugs ins Spiel.
  • Diese Methoden sind genauso einfach zu verstehen wie beim Thema Lean Management.

Und es hört sich auch hier viel einfacher an, als es tatsächlich ist.

Firmen die „umsteigen“ auf Agile Methoden stehen vor ganz anderen Herausforderungen wie Startups, die von Haus aus Agil sind.

Tja, in den klassischen tayloristischen Unternehmensdampfern mit Standards, Vorschriften und Regeln überall hat man sich ganz andere Menschen „erzeugt“.

Und wie das mit Verhaltensänderungen ist, wissen wir eh alle!

Wenn ich euch jetzt sage, dass ihr zukünftig mit der anderen Hand schreiben „müsst“, weil das jetzt gut für dich und das Unternehmen ist, dann wird das spannend.

Und dir ist auch nicht viel geholfen, wenn ich dich auf ein „Scrum Certification“ Training … äh ich mein… „Jetzt schreib mit der anderen Hand“-Seminar schicke.


Push the Authority to where the information is, empower people, Vertrau auf deine Mitarbeiter sind populäre Überschriften, aber was man dabei fast immer ausblendet, sind folgende Aspekte.


Egal ob man sich jetzt in ein Scrum Korsett zwängt, oder den Weg von selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Teams geht, eins ist fix:

Die Mitarbeiter brauchen die notwendigen Kompetenzen für dieses System!

Fehlen diese Kompetenzen passieren schreckliche Dinge. Dort wo mehr Menschen entscheiden, braucht es mehr Kommunikation & Austausch.

  • Schaffen es die neu „empowerten“ Menschen NICHT sich effizient auszutauschen (Meetings mit Agenda, verbindlichem Task Management, Fokus auf Prio A Themen), dann lähmt sich das System vor lauter langen Wischi-Waschi Abstimmung schnell selbst.

Dort wo mehr Menschen entscheiden, braucht es Menschen die „gern“ entscheiden und die mit Entscheidungsmechanismen vertraut sind.

  • Will man es immer allen Rechtmachen, und keinem weh tun, werden Entscheidungen nicht getroffen und immer wieder aufgeschoben. Genau das, was man nicht erreichen wollte.

Es braucht Menschen, die all das und noch viel mehr können und gern tun.

Und selbst wenn es ausreichend Menschen gibt, die gern entscheiden, gibt es folgende Herausforderungen.

Hier prallen häufig unterschiedliche Standpunkte aufeinander. Wenn es hier an Kommunikations- und vor allem Konfliktregulations-Kompetenz fehlt, dann gibt es entweder wiederkehrende vorwurfsvolle Konflikte, oder es entsteht eine Scheinharmonieburg wo jeder den Elefanten sieht, aber keiner anspricht.

Dort wo sich Menschen unwohl fühlen mit Antiziptieren, Priorisieren, Entscheiden, Verantwortung, Konflikt usw. dort wird es bitter.

  • Warum? Menschen, die in der Unsicherheit sind, artikulieren sich nicht direkt. Man kann ja nicht zugeben, dass man unsicher ist und man sich unwohl fühlt damit. Es werden Nebenschauplätze aufgemacht und es dauert nicht lange, bis sich große Dramen abspielen.

Und hier kommt etwas ins Spiel, dass viele Manager immer noch brutal ausblenden:

Wir Menschen sind nicht sehr „rational“!

Da kannst du noch soviele Pläne, Projekte und Kennzahlen haben und Druck aufbauen. Am Ende machen Menschen im Stress bzw. speziell in der Unsicherheit, „unlogische“ Menschen-Dinge.

D.h. wenn agil nicht funktioniert, hat das vielleicht weniger mit der Agilität zu tun, sondern mehr mit den Fähigkeiten des Managements, mit den „irrationalen“ Eigenschaften von Menschen umzugehen.


Agilität in einem Umfeld repitetiver Vorgänge?

Agilität in einem Umfeld repetitiver Vorgänge muss sorgsam betrachtet werden. Freiheit ohne Standards erzeugt zwangsläufig viele Lösungen. Wenn man das Rad vielfach erfindet (obwohl gar nicht notwendig), fördert das zwar viele Kompetenzen im Team, aber ist der Produktivität bzw. dem Flow und somit dem Kundennutzen so gar nicht zuträglich. (Ich kenne nicht viele Unternehmen, die sich über zu viele Kapazitäten beschweren.)

Aber natürlich gibts auch abseits von Kundennutzen gute Gründe für den Wechsel hin zu Agilität und Selbstorganisation.

  • Wenn man erwartet, dass man diese Muckis (die neuen Kompetenzen) zukünftig braucht um am Markt besser bestehen zu können.
  • Wenn man erwartet, dass es am knapper werdenden Arbeitsmarkt förderlich ist, um gute Mitarbeiter zu bekommen.

Zusammenfassung

Agile Systeme haben wunderbare Eigenschaften, wenn man es schafft die PS auf die Straße zu bringen. Aber es ist beileibe kein Selbstläufer und es ist auch kein heiliger Gral für alles (Genauso wenig wie Lean Management).

  • Meine Beobachtung ist, dass in der Praxis mit dem Umstieg auf agile Arbeitsmethoden, obwohl es gut gemeint ist, häufig ein hohes Maß an Schmerz erzeugt wird.
  • Autonomie (Selbstorganisation & Eigenverantwortung) ohne Kompetenz erzeugt Chaos, Konflikt und keine gute Performance.
  • Menschen, die jahrelang auf Ausführen konditioniert sind, haben große Ängste Dinge zu entscheiden, Verantwortung zu tragen und Konflikte zu „haben“.
  • Ebenso gilt es die Bedürfnispole zu betrachten. Manche Menschen brauchen Freiheit um glücklich zu sein, andere Sicherheit.

Ich bin der auch der Meinung, es gibt genausoviel Menschen, die sich unwohl fühlen mit der Last der neuen Freiheit, wie Menschen, die sich unwohl fühlen mit Hierarchie, in der man nichts entscheiden darf. Eine Gruppe Menschen wird immer unglücklich sein.

  • Des einen Freud , des anderen Leid!

Ja liebe „Es muss immer für alle fair sein & allen gut gehen“ Fraktion – Was soll man da machen?


Und was ist jetzt für dich passend?

Ich denke folgende Fragen können hilfreich sein für Organisationen, die mit dem Gedanken spielen.

  • Ist unser Umfeld schon oder wird es bald unplanbar, komplex, schneller, sprich VUCA / BANI – like?
  • Welche Menschen haben wir in unserer Organisation?
  • Welche Mitarbeiter wollen bzw. können wir Zukünftig haben?

Das wars für heute. Im nächsten Teil gehts darum, wie man alle Welten so kombinieren kann, dass es mehr ist, als die Summe seiner Einzelteile.

#lean #agilität #change #inspiration

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